Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes habe ich knapp über 40 Stunden im Wasteland des postapokalyptischen Arizonas verbracht. Dabei habe ich mit meiner Ranger-Truppe Menschen gerettet, fiese, mutierte Tiere und kriminelle Banden bekämpft, Rucksäcke voller Loot zurück zur Ranger-Zitadelle geschleppt und mir einen Namen im Ödland gemacht.
Doch was ist es, was mich bisher so an Wasteland 2 gefesselt hat?
Ich habe zwar fast alle Teile der Fallout-Reihe gefeiert, aber an die geistige Mutter der Reihe, Wasteland 1, erinnere ich mich so gut wie gar nicht mehr. Sprich, ich bin keiner der treuen Fans, die ganze 25 Jahre auf einen zweiten Teil gewartet haben. Ich habe ich die Entwickler von InXile Entertainment während der Kickstarter-Kampagne nicht finanziell unterstützt, sondern erst ein paar Wochen nach offiziellem Release das fertige Spiel gekauft. Und das geschah vermutlich auch nur, weil ich ein großer Fan von Runden-Strategie bin und mir die coolen Titel ausgingen, nachdem ich XCOM, The Banner Saga, Shadowrun Returns und co. ausgiebig gespielt hatte.
Kleiner Zeitschock
Wenn man Wasteland 2 dann spielt und mal objektiv und sehr pingelig drauf schaut, dann ist es einfach ein unschönes, fehlerhaftes und umständliches Spiel, bei dem der Einstieg alles andere als leicht ist. Fast wie vor 20 Jahren.
Zwar hat Wasteland zumindest am Anfang einige Popups, die per Text kurz und knapp ein paar grundlegende Spielprinzipien erklären, allerdings muss man sehr viel erst auf die harte Tour erlernen. Die Info, dass es z.B. „friendly fire“ gibt und, dass wenn ein unerfahrener Charakter aus zweiter Reihe schießt, schon mal den Vordermann trifft, poppt erst auf, nachdem dies zum Ersten Mal passiert ist. Auf andere Dinge wird erst gar nicht hingewiesen. So erlernt man das komplexe Spielsystem erst nach etlichen Stunden des Trial & Errors.
Die Kamera, die direkt aus der Hölle kam
Bei der Kamera-Steuerung hilft jedoch kein Probieren, denn sie ist härter als jeder Boss-Gegner. Andauernd ist irgendetwas in der Landschaft im Weg, sodass man fast immer wichtige Eingänge oder Truhen schlichtweg übersieht. Zwar werden genannte Dinge markiert, wenn man mit dem Mauszeiger drüberfährt, aber je nach Kamerawinkel ist der Bereich so klein, dass man ihn nicht trifft, vor allem nicht zufällig. Die Kamera zu schwenken klappt per Maus selten richtig gut (Mausrad gedrückt halten und in die gewünschte Richtung ziehen), besser funktioniert es per Tastatur (Schwenken: Q und E), dann ist sie aber immer noch träge wie ein Faultier und sie schwenkt auch nicht flüssig, sondern immer nur in kurzen Schüben. Sehr nervig, denn man verliert so oft die Orientierung in unübersichtlichen Gelände.
Die aufrufbare Karte ist da auch selten hilfreich, weil sie gerade mal die Position und Blickrichtung der Party anzeigt, nicht aber welchen Bereich man gerade sieht oder die Richtung der Kamera. Will man beispielsweise von einem zum andren Ende der Karte, muss man mit der Kamera gefühlt ewig von seiner Crew über das Gelände fahren und dann klicken, falls man nicht wieder die Orientierung verloren hat und in die falsche Richtung „gewandert“ ist. Bei aller Liebe, aber das ist der größte Abturner in Wasteland 2!
Mein Mauszeiger will Kilometergeld
Was nach einiger Zeit auch nervt, sind die unnötigen Klicks, die man machen muss, um beispielsweise eine Fähigkeit anzuwenden. Das erinnert schon fast wieder an alte Point n‘ Click Adventures: Benutze Schaufel mit loser Erde. Komfortabler wäre es gewesen, wenn das Spiel es automatisch machen würde. Nein, man muss den Charakter auswählen, der die Schaufel im Inventar hat, die Schaufel anklicken, damit sich der Cursor in die Schaufel wandelt und dann auf die lose Erde klicken. Dieses Prozedere gilt auch für Skills oder Medipacks, immer und immer wieder.
Wo kommen die denn her?
Großes Manko leider auch die Story. An für sich kennt man vieles von Fallout-Titeln, in denen oft sehr ähnlich Missionen zu meistern waren. Großartige Hintergründe werden auch kaum erzählt, man ist halt einfach eine daher gelaufene zufällige Gruppe, die dann halt mal Desert Rangers wird und Aufträge erfüllt, Punkt. Und natürlich ist mal eine Siedlung von Mutanten befallen und man muss sie befreien oder eine Gruppe Anarcho-Banditen aufmischen, weil die halt nun mal da abhängen. Ihr seht schon, tiefgründig ist das Spiel leider nicht.
Und doch…
Dennoch bin ich gefesselt vom Spiel, habe etliche Tage und Stunden meiner Lebenszeit mit der Kameraführung aus der Hölle, mit zig-tausend unnötigen Klicks und einer langweiligen Hauptstory verbracht und gar schon in den Spielpausen mir überlegt, was ich abends im Ödland machen will. Immer wieder fragte ich mich, warum ich das denn auf mich nehme, aber so ganz zufrieden bin ich mit meinen Antworten nach wie vor nicht. Wasteland 2 hat irgendwas an sich, was mich in der Zockerseele berührt hat, was andere großartig designten Spiele nicht schafften.
High Noon
Vielleicht war es die dichte Atmosphäre, die Wasteland 2 mitbringt, denn ich die Soundkulisse hört sich an, als ob man wirklich durch ein großes postapokalyptisches Ödland streift und die Umgebung mit ihrer wüsten Vegetation, die verfallenen Hütten, die irgendwelche längst toten Menschen errichtet haben, Innenareale, die aus einem Horrorfilm stammen könnten und die durchgeknallten Charaktere und Gruppen, die man auf dem Streifzug trifft. Alles hat einen Touch von Endzeit-Western und ich stehe halt einfach auf Western und Endzeit. Zu erwähnen ist auch die coole Lichtgebung, die inklusive ihrer Schatten für eine gute Stimmung sorgt, auch wenn die ab und an auftretenden Grafikfehler den Spieler wieder knallhart in die Realität werfen.
Schmunzelnd geht die Welt zu Grunde…
Vielleicht ist auch der coole Entwickler-Humor, der nicht nur in den Dialogen und kleinen Geschichten immer wieder für ein Schmunzeln sorgt. Hat schon mal jemand auf den Knopf der antiken und angeblich kaputten Atombombe im Museum der Ranger-Zitadelle gedrückt? Speichert sicherheitshalber vorher ab! Und wer einmal auf Charakter-Namen von zufälligen Begegnungen achtet oder mal den „Junk“ im Ödland genauer anschaut, wird mit ultimativen Easter-Eggs belohnt. Die Original-Wasteland-1-Diskette liegt gleich neben der Krebsheilung!
Runde um Runde
Doch auch wenn die vielen unnötigen Klicks mit der Zeit nerven, was mich bei der Stange hält, ist wohl mit unter das Gameplay an sich. Rundenbasierte Kämpfe, taktisches Stellungsspiel und geschickte Entscheidungen sind in Wasteland 2 essenziell. Zwar ist der Übergang von Echtzeit zum Rundenkampf oft sehr hakelig, aber mit kleineren Dummheiten muss man zurechtkommen und hier ist Wasteland 2 auch recht anspruchsvoll. Aber es macht Spaß, selbst wenn man sich richtig in das Spiel einfuchsen muss. Wie früher halt. Und nach einem Kampf dann schön die Beute aufteilen, Waffen und Gegenstände vergleichen und bei einem eventuellen Stufeneinstieg dann auch noch schön die neuen Skillpunkte verteilen. Das macht den Reiz aus.
Entscheide dich!
Interessant finde ich auf jeden Fall, dass manche Entscheidungen merkbare Auswirkungen haben auf den späteren Story-Verlauf. Gegen Anfang bekommt man schon früh fast gleichzeitig zwei Notrufe über Funk, bei denen man sich entscheiden muss, wo man zu erst aufkreuzt. Kommt man beispielsweise dem Hilferuf des Pflanzenforschungs-Zentrums zuerst nach und trifft danach erst beim Sender des anderen ein, findet man nur noch Trümmer und Tote. Oder im Tal der Titanen: Knallt man beispielsweise einen des Mönchs-Ordnens über den Haufen, wollen die Wächter ein paar Gebiete später einen höheren Eintrittspreis und man muss sich wieder entscheiden, ob man nun zurück geht und mehr vom Geforderten sucht oder man verschafft sich mit Gewalt Zugang, was natürlich auch wieder für Ärger sorgt. Das Schöne am Oldschool-Konzept von Wasteland 2 ist, dass man nicht, wie heutzutage gewohnt einen Dialog bekommt, bei den man auf uninspiriert Antwort A oder B klicken soll. Viel mehr agiert man recht frei und die Auswirkungen bekommt man dann später zu spüren und kann sich dann ausmalen, warum das dann so passiert, wie es passiert. Und genau das ist das Erfrischende an Wasteland 2, denn genau so etwas setzt es ab von gewohnten „modernen“ Spielen.
Wasteland 2 hat auch einen krass großen Umfang… wie schon erwähnt, bin ich seit knapp über 40 Stunden im Ödland von Arizona unterwegs und bin laut der Questliste im Internet gerade mal knapp bei der Hälfte des Spiels! Das zweite Gebiet, Kalifornen, habe ich noch gar nicht betreten.
Ich habe mich noch nicht ganz entschieden, ob mich das freuen soll oder nicht, denn eigentlich mag ich lange epische Spiele gar nicht mehr so. Aber mal sehen, ob ich die nächsten Stunden (oder eher Tage) noch genauso unterhalten werde, oder ob mich die Mankos doch noch in den Wahnsinn treiben und ich diesen Post hier revidieren werde. Kalifornien, ich komme!
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