Der folgende Text basiert auf einem wissenschaftlichen Essay aus meinem Soziologie-Studium und wird hier in gekürzter und leicht überarbeiteten Form wiedergegeben. Es behandelt die Macht-Theorie des französischen Philosophen, Psychologen, Historiker und Soziologen Michel Foucault, angewandt auf Hirschbiegels Film „Das Experiment“ von 2001 und der heutigen Überwachungs-Gesellschaft.
Im zweiten Teil sehen wir, wie das Panoptikum im Film „Das Experiment“ umgesetzt wurde und wie Widerstand gegen die Macht ausgeübt wird. Dem folgt ein Fazit des Panoptikums und Foucaults Machttheorie anhand der Überwachung in der heutigen Gesellschaft.
Teil 1 findet ihr hier.
Das Panoptikum der Macht im Film „Das Experiment“
Im Film „Das Experiment“ von Oliver Hirschbiegel wird bei einem wissenschaftlichen Versuch ein solches Panoptikum aufgebaut. Das Experiment soll ein Gefängnis simulieren, worin die Gefangenen jederzeit per Kamera beobachtet werden können. Selbst wissen sie aber nicht, wann sie durch die Kameras beobachtet werden. Es entsteht das Panoptikum der Macht, wie es Foucault beschreibt. Auch die Wächter unterstehen dem Machtverhältnis, da sie von Versuchsleitung mit Hilfe der Kameras beobachtet werden. Disziplin ist von der Versuchsleitung in den Vordergrund gestellt, was bei der Einführung der Wärter ausdrücklich mitgeteilt wird. Sie soll bei den Wärtern gelten und an die Gefangen vermittelt werden. So soll alles ohne Gewalt ablaufen, wie es in einem Gefängnis bei Foucault auch sein soll. Die Isolierung der Gefangenen von der Gesellschaft wird durch die simulierte Inhaftierung herbeigeführt. Durch die Nummern, die jeder Gefangene trägt soll eine mögliche Solidarisierung der Gefangenen untereinander verhindert werden, da sie durch die Regel, dass man sich nur mit der Nummer anspricht, ein Stück weit die persönliche Identität genommen wird. Auch die Gefängnisordnung ist hier ein Mittel: Ein Beispiel dafür ist, dass nach Abschalten des Lichtes keiner mehr Reden darf. Bei Foucaults zweitem Prinzip, die Arbeit, wird ein Bestrafungssystem eingeführt, was am Anfang des Films Liegestützen bedeutete. Hier wird anstatt der Arbeit, die einen Aufstand verhindern soll, die Bestrafung beim Versuch des Aufstandes für Ordnung sorgen. Foucaults drittes Prinzip fällt weg, da es sich im Film ja um einen Laborversuch handelt. Die Hauptfigur im Film „Tarek“ oder „77“ ist hier der Punkt, an dem das Machtverhältnis gestört wird. Er solidarisiert sich schon gegen Anfang des Films mit einem Mitgefangenen, indem er seine Milch austrinkt, um es ihm eine allergische Reaktion zu ersparen. Somit haben wir im Film „Das Experiment“ das Panoptikum der Macht aufgebaut. Doch durch „77“ wird dieses gestört. Widerstand tritt auf und stört, wie wir gleich sehen, das Machtverhältnis empfindlich.
Widerstand bei Foucault und dem Film „Das Experiment“
Die Beschreibungen der Macht von Foucault sind sehr idealtypisch. Sein Buch „Überwachen und Strafen“ lässt vermuten, dass man dieser omnipräsenten Macht nicht entgehen kann. In einem seiner anderen Bücher erwähnt er jedoch, dass auch durch Machtverhältnisse Widerstand gegen diese Macht entstehen kann.[2] Wie Widerstand in der Praxis entsteht sieht man sehr deutlich im Film „Das Experiment“. Nachdem „77“ sich solidarisiert und sich dem Machtverhältnis nicht unterwirft, versuchen die Wärter dies durch Strafen in Form von psychischer Gewalt, zu ändern. Die Seele wird Hauptziel, der Erziehungsmethoden. Auch entziehen sich die Wächter dazu der Überwachung der Versuchsleitung. „77“ wird kahlgeschoren, bedroht und auf ihn wird uriniert. Dies grenzt schon zu physischer Gewalt, auf die laut Foucault in einem Panoptikum eigentlich verzichtet werden kann.
Erste physische Gewalt wird durch Werter „Berus“ verübt, der einen Gefangenen mit dem Knüppel niederschlägt, als dieser einen Panikanfall hat. Als „77“ einem Wärter heimlich einen Brief für eine Außenstehende zusteckt und der Professor aus der Versuchleitung abwesend ist, wittern ein paar Wärter eine Verschwörung. Sie sehen diese Bedrohung von Außen, als Bedrohung der inneren Sicherheit. Langsam beginnt sich das Verhältnis der Macht zu verschieben. Die anwesende Versuchsleitung wird gefangen genommen, genau wie der vermeintliche Verräter bei den Wächtern. Die Wächter entziehen sich so endgültig dem Panoptikum der Macht, das durch Überwachung bisher vorherrschte. Nun wissen sie, dass sie nicht beobachtet und kontrolliert werden. Die Gefangenen sind nun der willkürlichen Gewalt der Wärter ausgeliefert, was dann auch zum richtigen Aufstand aller Gefangene führt. Im Film kann keine von Foucault beschriebenes Machtverhältnis mehr aufgebaut werden.
Dies zeigt, dass Foucaults Theorie der Macht in der Praxis nicht unbedingt lange vorherrschen kann. Schnell haben sich die Verhältnisse verschieben können und so ein neues gewaltbereite Machtausübung begonnen. Hier machen die Beteiligten einen Rückschritt ins 17. Jahrhundert, als noch Gewalt als einziges Mittel der Bestrafung eingesetzt wurde.
Das Panoptikum der Macht in heutiger Gesellschaft
Die neue Art der Macht, die mit dem Panoptikum geschaffen wurde, ist auch heute noch in verschiedenen Bereichen allgegenwärtig. Im vergangenen Jahrhundert und heute am Anfang des 21. Jahrhundert ist eine neue Art der Bedrohung der Gesellschaft vorhanden. Es sind nicht mehr Krankheiten, wie die Pest, die gefährlich sind. Die Auswirkungen des 11. Septembers 2001 zeigen sich überall. Über die Überwachung von öffentlichen Plätzen, sogar von Überwachung im Privatraum wurde viel diskutiert. Als Beispiel sind Videokameras in öffentlichen Gebäuden oder Plätzen zu nennen. Hier kann jede Bewegung der Bevölkerung gesehen und bei Verdacht sofort Maßnahmen ergriffen werden. Das Vorhandensein der Kameras ist oft bekannt. Jedoch weiß ein Passant nicht, ob er in diesem Augeblick beobachtet wird. Der Überwacher übt so Macht auf viele Passanten aus und versucht so auch einen möglichen Terrorakt zu vermeiden. Modernen Satelliten können gestochen scharfe Bilder von faste jedem Punkt der Erde machen. Das Projekt „Google Earth“ des Unternehmens „Google“ zeigt hier schon was im Kleinen möglich ist. Der normale Bürger wird zum „Gefangenen“ ohne eine Straftat begangen zu haben. Er wird quasi zum potentiellen Täter. So wird ihm auch teilweise seine Freiheit beraubt. Das Subjekt wird inzwischen im Alltag zum Objekt der Beobachtung. Das Panoptikum breitet sich auf immer mehr Bereiche aus, als in Foucaults Zeit. Dass diese Überwachung aber nicht immer funktioniert zeigen diverse Terrorakte, die trotzdem verübt werden. Eine ähnliche Situation, wie im Film „Das Experiment“ zeigen die Geschehnisse im amerikanischen Gefängnis „Abu-Ghuraib“ im Irak. Dort wurden auch Gefangene mit physischer Gewalt bestraft, ohne dass auf ihre Straftaten individuell eingegangen wurde. Dies hatte erst ein Ende, als die Wärter wieder unter Beobachtung standen, nachdem die Öffentlichkeit davon mitgekriegt hatte. Dies zeigt, dass Foucault Panoptikum doch nicht immer wirksam ist. Es gibt immer Möglichkeiten, dem Machtverhältnis zu entgehen.
Bibliographie
– Dirk Daiber – „Macht in Staat und Verwaltung aus Sicht von Foucault“ (Diplomarbeit, 1994, Uni Konstanz)
– Michel Foucault – „Überwachen und Strafen – Die Geburt des Gefängnisses“ (1976)
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